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Jugendhilfe und Zwang

1 Einleitung

Worum geht es? Das Thema Jugendhilfe und Zwang und die Argumente für und gegen eine geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ist bzw. sind abschließend diskutiert. Kann es an dieser Stelle neue Überlegungen oder Schlussfolgerungen geben? Nein! Eigentlich ist alles gesagt bzw. geschrieben. Und warum dann doch noch ein weiterer Aufsatz? Weil die medialen und politischen Forderungen nach mehr Zwang in der Jugendhilfe immer lauter werden, die geschlossenen Plätze nicht ausreichen um die Nachfrage zu befriedigen und sich immer mehr traditionelle Träger der Erziehungshilfe mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie freiheitsentziehende Maßnahmen im Einzelfall empfehlen, in Einrichtungen mit geschlossenen Plätzen vermitteln oder selbst solche Plätze anbieten möchten.

Wir, die Mitarbeitenden und Verantwortlichen des Diakonischen Werks Rosenheim hatten hier immer eine klare und pointierte Meinung: Das Wegsperren von Kindern und Jugendlichen ist die Bankrotterklärung der Jugendhilfe! In jedem Einzelfall können Alternativen gefunden werden die wirksamer sind! Freiheit ist ein zentraler Bestandteil einer evangelischen Erziehung ( I.S.v. Wichern, Johann Hinrich)! In dieser Auffassung fühlten und fühlen wir uns durch das SGB VIII bestärkt. Im Gegensatz zum vorwiegend an Kontrolle und Eingriff orientierten alten Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) orientiert sich das SGB VIII an der Leitidee einer sozialen Dienstleistung. Auch für die „Schwierigsten“ muss das für die Soziale Arbeit identitätsstiftende Prinzip der Freiwilligkeit gelten.

Und die andere Seite: Es gibt sie, die strafunmündigen Mehrfachtäter, die sehr seltenen Konstellationen, die Ultima Ratio. Kurz gesagt: Wir brauchen Antworten auf die mediale und politische Frage, was wir denn mit jungen Menschen tun können, die sich selbst oder andere massiv gefährden. Wir möchten uns dieser Frage nicht entziehen, wir wollen Antworten finden (und hier beschreiben) und wir werden weiter helfen.

In einem ersten Teil dieses Artikels möchten wir unseren Träger und die Szene der geschlossenen Unterbringung in Bayern kurz vorstellen. Anschließend soll nochmals den Fragen nach einer Indikationsstellung und dem rechtlichen Rahmen nachgegangen werden. Anschließend werden wir unter der Überschrift „Keine Erziehung ohne Zwang“ unsere Position beschreiben.

2 Der Träger

Das Diakonische Werk der evangelisch lutherischen Kirche im Dekanatsbezirk Rosenheim betreibt verschiedene Einrichtungen der Alten-, Arbeitslosen-, Behinderten-, Jugend-, Straffälligen-, Suchtkranken- und Wohnungslosenhilfe in den oberbayerischen Landkreisen Bad Tölz, Ebersberg, Erding, Fürstenfeldbruck, Miesbach, München, Rosenheim sowie in der Landeshauptstadt München.

Die ca. 200 angestellten Mitarbeitenden der Geschäftsbereiche Kinder, Jugend und Familie betreuen jährlich etwa 560 Fälle im Rahmen der Jugend(sozial)arbeit, 630 in der Erziehungs- und Familienberatung, 30 in Gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kindern, 250 in Kindertageseinrichtungen, 500 in ambulanten Hilfen zur Erziehung, 90 in Tagesgruppen, 20 in Wohngemeinschaften, 90 in dem Betreuten Einzel- und Gruppenwohnen, 220 in der Eingliederungshilfe sowie 50 Fälle in den Hilfen für junge Volljährige.

Damit sind wir ein großer aber kein sehr großer freier Träger der Jugendhilfe. MitarbeiterInnen in Leitungsfunktionen vertreten den Trägern in diversen Kinder- und Jugendhilfeausschüssen sowie Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII,  im Evangelischen Erziehungsverband (EREV), in der Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGFH), im Deutschen Verein für öffentliche und private Führsorge, Bundesverband für Erziehungshilfe (AFET), in der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ) und in der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit.

3 Das Umfeld

Im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen wird der Begriff der geschlossenen Unterbringung in drei Sachzusammenhängen verwendet. Zum einen beschreibt er die Inhaftierung in einer Justizvollzugsanstalt, zum anderen die Unterbringung auf speziellen Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und schließlich das Vorhandensein von als solches ausgewiesenen Plätzen in Einrichtungen der Erziehungshilfe.

Alternativ zur „geschlossene Unterbringung“ werden in der Erziehungshilfe auch Begrifflichkeiten wie „Freiheitsentziehende Maßnahmen“,   „Fluchthemmende Settings“ oder  „Sicherstellung einer pädagogischen Einwirkung“ verwendet. All diesen Darstellungen ist gemein, dass Kinder und Jugendliche auf Grund eines richterlichen Beschlusses zumindest vorübergehend eingesperrt aber nicht auf Dauer „ausbruchssicher“ verwahrt werden.

In Bayern gibt es seit vielen Jahren etwa 40 geschlossene Plätze im Caritas Mädchenheim Gauting und ca. 20 Plätze in der Rummelsberger Kinder- und Jugendhilfe für Jungen (Hillmeier, Hans 2004: Freiheitsentziehende Maßnahmen in der stationären Erziehungshilfe in Bayern. In: BLJA Mitteilungsblatt 2/2004. München).

Zudem halten die Clearingstellen für Kinder mit massiv-dissozialen und kriminell auffälligen Verhaltensweisen der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Würzburg, des Kinderzentrums St. Vincent der Katholischen Jugendfürsorge in Regensburg und des Jugendwerks Birkeneck in Hallbergmoos (im Bau) je drei bis vier Plätze in geschlossener Form vor.

Darüber hinaus können bis zu acht männliche Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der U-Haft-Vermeidung im Piusheim der Katholischen Jugendfürsorge in Baiern bei Glonn „teilgeschlossenen“ untergebracht werden.

Dabei handelt es sich in keinem Fall um eine als ganzes geschlossene Einrichtung, vielmehr bieten alle Träger ein mehr oder wenig differenziertes Angebot an stationären, teilstationären und ambulanten Erziehungshilfemaßnahmen an. Die Tagessätze für die geschlossenen Plätze variieren zwischen 215,-- € und 285,-- €.

Die zusammen ca. 80 geschlossenen Plätze in Bayern sind i.d.R. voll belegt, häufig existieren Wartelisten, so dass zumindest von der Nachfrageseite her von einer „nichts ausreichenden Versorgung“ ausgegangen werden kann. Umgekehrt darf sicherlich auch nicht übersehen werden, dass viele der in Bayern vorgehaltenen geschlossenen Plätze durch junge Menschen aus anderen Bundesländern belegt werden.

4 Indikationsstellung

Schon Christian von Wolffersdorf u.a. beklagte 1996 die „Unklarheit der Indikationen“ (Wolffersdorff, v. Christian; Sprau-Kuhlen, Vera; Kersten, Joachim 1996: Geschlossene Unterbringung in Heimen. Kapitulation der Jugendhilfe? Weinheim, München) für eine geschlossene Unterbringung. Hanna Premin vom deutschen Jugendinstitut e.V. kommt in ihren aktuellen Veröffentlichungen (vgl. Premin, Hanna 2004: Für Mädchen anders als für Jungen? In: Sozialextra. Oktober 2004) in Bezug auf das laufende Forschungsprojekt zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Die Indikationsstellung für freiheitsentziehende Maßnahmen beruht auf ganz unterschiedlich verlaufenden Entscheidungsprozessen (Kriterien und institutionelle Voraussetzungen). Sie führt weiter aus, dass es keine typischen Fälle für die geschlossene Unterbringung gebe, sondern Mädchen und Jungen quasi erst zu Fällen für die geschlossene Unterbringung gemacht würden.

Die Heckscher-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Bezirks Oberbayern hat 2003 durch eine retrospektive Analyse von jugendpsychiatrischen Gutachten zu § 1631b BGB ermittelt, dass eine geschlossene Unterbringung häufig bei Kindern und Jugendlichen bis zum 15. Lebensjahr mit einer oder mehrer der folgenden Probleme vorgeschlagen wird (Hillmeier, Hans 2004: Freiheitsentziehende Maßnahmen in der stationären Erziehungshilfe in Bayern. In: BLJA Mitteilungsblatt 2/2004. München):

  • Schlechte psychosoziale Anpassung
  • Unterdurchschnittliche intellektuelle Begabung
  • Verwahrlosung
  • Diagnose einer hyperkinetischen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen
  • Geringe Bereitschaft/Motivation zur Mitarbeit (störungsbedingt)
  • Besuch einer Schule zur Erziehungshilfe oder Lernförderung
  • Frühere Fremdunterbringung
  • Vorangegangener Kontakt zu der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Hanna Premin stellte fest, dass schulische Probleme (incl. Verweigerung) gefolgt von Aggressivität, Streunen, Alkohol- oder Drogengefährdung, fehlender Mitwirkung, ständigem Entweichen, delinquentem Verhalten und einem gefährdenden Umfeld als zentrale Probleme von geschlossen untergebrachten jungen Menschen sind.

Darüber hinaus wurde von der Heckscher-Klinik untersucht, inwieweit eine Entscheidung der Jugendämter für eine geschlossene Unterbringung von den begutachtenden Kinder- und JugendpsychiaterInnen unterstützt wurde. Dabei wurde lediglich eine 60%ige Übereinstimmung der Einschätzung ermittelt.

5 Rechtsrahmen

Basierend auf Artikel 104 GG darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden kann.

Im SGB VIII (KSJH) findet sich ein solches förmliches Gesetz und eine vorgeschriebene Form lediglich im § 42 Abs. 5. Demnach sind freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme nur dann zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes, des Jugendlichen oder eines Dritten abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.

Darüber hinaus finden sich im SGB VIII keine weiteren vorgeschriebenen Formen für freiheitsbeschränlende Maßnahmen. Insbesondere die §§ 34 (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform) und 35 (Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung) SGB VIII kennen keine solche Vorschriften.

Daher wird in der Praxis die Zulässigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen in der stationären Erziehungshilfe rechtssystematisch aus dem elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrecht abgeleitet. § 1631b BGB schränkt die elterliche Sorge nur insofern ein, als er freiheitsentziehende Maßnahmen unter Gerichtsvorbehalt stellt (Wiesner, Reinhard 2004: Freiheitsentziehende Maßnahmen. Eingriff in die Rechte des Kindes oder Schutzauftrag der Jugendhilfe? In: Verein für Kommunalwissenschaften e.V. (Hrsg.): Freiheitsentziehende Maßnahmen als Voraussetzung für pädagogische Einflussnahme. Indikationen, Settings, Verfahren. Berlin). Diese Rechtspraxis ist sehr umstritten (vgl. Schlink, B.; Schattenfroh, S. 2001: Zulässigkeit der geschlossenen Unterbringung in Heimen der öffentlichen Jugendhilfe. In: Fegert, J. M.; Späth, K.;  Salgo, L. (Hrsg): Freiheitsentziehende Maßnahmen in Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Münster, Seite 73 ff) und wird nun auf Grund einer Entscheidung eines Bergedorfer Richters vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe überprüft werden (TAZ Hamburg Nr. 7808 vom 1.11.2005, Seite 21).

Sollte das Bundesverfassungsgericht die Ansicht bestätigen, dass die Bestimmungen des § 1631b BGB kein ausreichendes förmliches Gesetz mit einer beschriebenen Form für die freiheitsbeschränkende Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Erziehungshilfeeinrichtungen sind, wäre eine geschlossene Unterbringung außerhalb der engen Bestimmungen des § 42 Abs. 5 SGB VIII ohne eine Gesetzesänderung nicht mehr möglich. Dies wäre umso wünschenswerter, da eine geschlossene Unterbringung ohnehin regelmäßig den Bestimmungen des § 27 Abs. 2 SGB VIII widerspricht, wonach das engere soziale Umfeld des jungen Menschen in die erzieherische Hilfe einbezogen werden soll. Zudem lässt sich i.d.R. nicht zweifelsfrei darlegen, ob eine freiheitsentziehende Maßnahme tatsächlich eine für die individuelle Entwicklung geeignete und notwendige Hilfe gem. § 27 Abs. 1 SGHB VIII ist.

Davon unberührt sind die Bestimmungen des § 72 Abs. 4 JGG, wonach ein Richter zur Vermeidung einer Untersuchungshaft die Unterbringung in einem geeigneten (z.B. geschlossenem) Heim der Jugendhilfe anordnen kann.

Basierend auf der hier dargestellten Rechtsauffassung halten wir eine freiheitsentziehende Unterbringung nur bei einer Gefahr für Leib oder Leben des jungen Menschen oder eines Dritten (§ 42 SGB VIII) oder zur Vermeidung einer Untersuchungshaft (§ 72 JGG) für gerechtfertigt. Und auch dabei handelt es sich um die Ultima Ratio, um das letzte zeitlich befristete Mittel, wenn keine andere Alternative mehr greift. Dabei muss der Schutz der körperlichen Unversehrtheit zentrales Maßnahmenziel und die Analyse der Bedingungen für die fehlenden Alternativen integraler Bestandteil der Leistungserbringung sein.

6 Keine Erziehung ohne Zwang

Die erzieherischen Hilfen beschäftigen sich in ihrer ganzen Breite mit der Förderung einer altersgemäßen Entwicklung und mit der Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

„Erziehung hat nämlich – schon seit der Renaissance, erst recht seit der Aufklärung – die konstitutive Aufgabe, die rechtlich gefasste Norm der Würde des Menschen lebenspraktisch und im Blick auf biographisch zu gewinnende Autonomie zu verwirklichen“ (Winkler, Michael 2005: Das Elend mit der geschlossenen Unterbringung. In: Forum Erziehungshilfen 11. Jg. H. 4). Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Zwang in der Erziehung nicht erst bei freiheitsentziehenden Maßnahmen beginnt und Konsequenz zentraler Bestandteil jeder Erziehung ist.

Die Definitionsgewalt über die zentralen Begriffe „altersgemäßen Entwicklung“ sowie „eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ obliegt nicht den Kindern und Jugendlichen sondern deren Eltern sowie den KollegInnen in den Jugendämtern und bei den freien Trägern. An dieser Stelle möchten wir das Prinzip der Partizipation nicht verleugnen, umgekehrt aber auch nicht annehmen, dass die an der Hilfeplanung beteiligten Erwachsenen eine fehlende Tagesstruktur, häufige Delinquenz, soziale Desintegration u.a. als Status Quo tolerieren würden.

Basierend auf einer fundierten sozialpädagogischen Diagnose und der Methode des Casemanagements können unter Wahrung einer langfristigen Beziehungskontinuität auch und gerade in nicht geschlossenen Betreuungs-Settings Anforderung, Verbindlichkeit, Struktur, Konsequenz und Konfrontation ein erzieherisches Handeln prägen. In einer ambulanten Maßnahme kann der Mitarbeiter die Klientin dort aufsuchen wo sie sich aufhält. In einer Tagesgruppe kann die Kollegin verbale Beleidigungen stetig zurückweisen und in offenen Intensivgruppen kann das Team durch eine hohe personale Präsens Anwesenheit erzwingen.

In der mittlerweile reichlich vorliegenden Fachliteratur und in den bereits erwähnten Studien werden immer wieder zwei wesentliche Grundvoraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung beschrieben.

Zum einen handelt es sich um junge Menschen, die sich selbst oder andere gefährden, zum anderen entziehen sie sich erzieherischem Handeln durch Weglaufen oder Gewalt.

Wie soll die Gesellschaft, wie der Staat, wie die Kommunen und wie wir als freier Träger der Jugendhilfe auf diese zweifellos existente Gruppe reagieren?

Unsere Position lautet: Gar nicht besonders! So wie bei allen anderen auch! Jeder macht das was er kann!

Bei der beschriebenen Zielgruppe handelt es sich um eine statistisch nicht relevante Randerscheinung der auf Grund eines übertriebenen politischem und medialem Interesses viel zu viel Aufmerksamkeit und Ressourcen zu teil werden. Jede Form von Sozialer Arbeit wird nicht jeden einzelnen Adressaten in gleich guter Weise erreichen. Diese einfache Tatsache müssen wir uns diesbezüglich wieder bewusst machen. Wir dürfen aber gleichzeitig auch nicht vergessen, dass die Angebote der Erziehungshilfe niemals perfekt sind. Sie können ständig fortentwickelt, ausdifferenziert und verbessert werden. Und trotz allem bemühen wird es eine kleine Gruppe geben, die sich einer offenen Hilfe entzieht. Umso wichtiger ist hier eine retrospektive Analyse der Fallgeschichten. Was waren denn die Faktoren die für eine normale Erziehung gefehlt haben. An welchen Stellen haben warum welche Angebote versagt? Was gab es wann zu viel oder zu wenig?

Erziehung, und zwar die familiäre, die schulische und die professionelle (Erziehungshilfe) kommen nicht ohne Zwang, Einschränkung und „qualifizierte Neins“ aus. Es kann nicht akzeptiert werden, dass Kinder die Spielregeln für das familiäre Zusammenleben diktieren, das ein Klima der gegenseitigen Angst den schulischen Alltag kennzeichnet und die Erziehungshilfe vor schwierigen Kids die Türe (von innen) verschließt. Durch geeignete Methoden, Verfahren und Techniken wie elterliche Präsenz (Omer, Haim; Schlippe, Arist von 2004: Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. "Elterliche Präsenz" als systemisches Konzept. 4. Aufl.. Göttingen), konfrontative Pädagogik (Weidner, Jens; Kilb, Rainer (Hrsg.) 2004: Konfrontative Pädagogik. Konfliktbearbeitung in sozialer Arbeit und Erziehung. Wiesbaden), Triple P (Sanders, M. R. 1999: The Triple P-Positive Parenting Program. Towards an empirically validated multi-level parenting and family support strategy for the prevention and treatment of child behavior and emotional problems. Child and Family Psychology Review, 2, Seite 71-90) u.a. müssen alle an der Erziehung von Kindern und Jugendlichen Beteiligten frühzeitig und nachhaltig die Entwicklung einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern.

Der Gesetzgeber hat die Jugendhilfe nicht damit beauftragt junge Menschen einzusperren. Dies hat er im Sinne eines Schutzes bei einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung der Psychiatrie und im Sinne der Strafverfolgung den Justizvollzugsanstalten aufgetragen. Diese Aufteilung der Zuständigkeiten hat sich bewährt und ist für fast alle Fallkonstellationen zielführend. Kinder sind strafunmündig. Die damit definierte Grenze muss von den Beteiligten akzeptiert und darf nicht über den Umweg der Erziehungshilfe umgangen werden. Das Gleiche gilt für den Grundsatz, dass im Jugendstrafrecht keine generalpräventiven Aspekte berücksichtigt werden dürfen. Ggf. wird der Gesetzgeber aber eine Sicherungsverwahrung in das Jugendstrafrecht aufnehmen (CDU, CSU und SPD 2005: Koalitionsvertrag vom 11.11.2005. Zeile 5964).

Sowohl in der Psychiatrie als auch in der JVA werden junge Menschen erzogen. Dies wird durch die jeweils beteiligten Fachkräfte auch sichergestellt. Und dennoch fällt an dieser Stelle auf, dass zwischen der Erziehungshilfe und der Psychiatrie bzw. den Justizvollzugsanstalten wenig tatsächliche Kooperation, Vernetzung und gemeinsam verantwortete Übergänge passiert. Hier könnte eine Verbesserung der Versorgung der oben beschriebenen „Schwierigsten“ sinnvoll ansetzen.

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